Montag, 2. September 2013

Gypsy und Toni bei der ersten Lektion

Gestern stand das erste offizielle Training mit zwei neuen Pferden auf dem Programm. Nachdem ich bei den vorherigen Terminen eigentlich nur als Beobachter mit dabei war und mich bemüht hatte, die Pferde einerseits in ihrer Position in der Herde einzuordnen, andererseits aber auch die Persönlichkeit und das Potential der einzelnen Pferde einzuschätzen, sollte es heute erstmals an die Arbeit gehen.

Da es meine Philosophie ist, das man mit weniger in der Regel mehr erreicht und ich auch noch keines der Pferde aus der Herde genommen hatte um etwas damit zu machen, war es heute mein primäres Ziel, die Pferde einzeln einzuschätzen und auch das eine oder andere Gehorsamsziel umzusetzen.


Zu Beginn stand ein längeres Gespräch mit der Besitzerin über Werdegang und Eigenschaften der Pferde, bei dem sich das meiste, was ich auch selbst schon beobachtet hatte, bestätigt hat.

Zuerst haben wir uns mit Toni beschäftig. Ein Haflingerwallach der langjährig im aktuellen Bestand ist und aufgrund eines positiven HS-Befundes nur sehr eigeschränkt gearbeitet werden kann. Grundsätzlich ist er in einer mittleren Herdenposition und ein sehr ruhiges und braves Pferd. Beim Putzen war er sehr angenehm und lässt alles soweit mit sich machen. Im Rücken habe ich eine geringe Empfindlichkeit in der Nierengegend festgestellt, die aber von einer Weiderüpelei mit den anderen Pferden stammen könnte.

Ziel war das testen, was Toni von mir als jemand "Fremdem" annimmt und inwieweit eventuell vor der eigentlichen Arbeit eine Lockerung und Geraderichtung erfolgen sollte, zumal die Aufmerksamkeitsspanne aufgrund des HS nicht in vollem Maße zur Verfügung steht.

Mit wenigen und gezielten Übungen zur seitlichen Biegung an der Hand am stehenden Pferd konnte ich die verspannten Stellen im Rücken etwas lockern und für ein paar Momente eine korrekte seitliche Stellung herbeiführen. Auf beiden Seiten habe ich zweimal die korrekte Stellung gefordert, links war besser als rechts. Allein diese minimale Anforderung brachte eine deutliche Erwärmung der betroffenen Muskelpartien mit sich, gleichzeitig durch ein gezieltes Rückwärtsrichten von nur ganz wenigen Impulsen eine deutlich bessere Traghaltung.

Damit war ich dann auch erst mal zufrieden und Toni durfte an der Hand noch zur Belohnung etwas grasen, während ich meine Vorgehensweise mit der Besitzerin besprochen habe. Ziel der Arbeit mit Toni wird es sein, den Rücken zu entlasten, etwas Gleichgewicht zu schulen, Trittsicherheit und Balance zu steigern und auch die Aufmerksamkeit des Pferdes etwas mehr zu forcieren.

Das zweite Pferd für heute ist die schon etwas ältere Hannoveranerstute Gypsy, die als eher rangniedriges Pferd in der Herde und auch in ihrer eher vollblütigen Art eine ganz andere Sorte Pferd verkörpert. Die Stute hatte einige Fohlen und ist unter dem Sattel hitzig bis explosiv, lässt sich ungern am Kopf anfassen und ist generell leicht aus der Fassung zu bringen.

Diesen Umständen habe ich Rechnung getragen, indem ich die Stute erst mal frei und ruhig stehen lies und sie dann ohne Zwang und ohne fixieren geputzt habe. Nach ein paar Minuten kam dann auch das Köpfchen deutlich tiefer und da durch das freie Stehen keine Begrenzung nach oben stattfand, wenn sie sich gegen eine Berührung gewehrt hat, sah sie auch keine Veranlassung sich in irdendeiner Weise aufzuspulen. Nach und nach hat sich das ruhige Putzen dann auch sehr genossen und deutliche Anzeichen der Entspannung gezeigt.

Die Arbeit über den Rücken wird sich mit Gypsy etwas schwieriger gestalten, da sie einen deutlichen Karpfenrücken aufweist, der dann unglücklicherweise auch noch in einer gespaltenen Kruppe endet. Entsprechend kurz und verhalten ist die Bewegungsmechanik. Möglicherweise lag hier mal ein Ausbildungsfehler vor (was das hitzige Verhalten unter dem Sattel erklären würde) oder auch ein Unfall oder ähnliches beim Bedecken wäre denkbar, obwohl keines von beidem vom Vorbesitzer bekannt ist.

Außerdem hat Gypsy zwei (gut abgeheilte und stabile) Stellen mit Sarkoiden, die sie jedoch nicht behindern. Grundsätzlich ist Gypsy etwas knapper in der Konstitution und könnte etwas mehr auf den Rippen vertragen, zumal sie auch schon älter ist. Sie ist jedoch, genau wie alle anderen Pferde im Stall, in einem guten Futter- und Pflegezustand. Ein ordentlich gefüttertes Pferd sieht eben auch ohne Putzen ordentlich aus...

Mein Ziel mit Gypsy war heute das ausbalancierte Stehen beim Auskratzen der Hinterhufe (dort zieht sie gerne mal weg), das Senken des Kopfes bei der Pflege (sie scheint permanent in Hab-Acht-Stellung zu sein, wohl auch weil die anderen Pferde sie gerne mal eine Runde um die Koppel rennen lassen) und das Anfassen der Ohren, was sie nicht dulden möchte und wobei sie auch deutliche Stressreaktionen in Gesicht und Hals zeigt. Bis auf die Ohren, dort kam ich nur in die Nähe, hat auch alles gut geklappt. Sie ist brav stehen geblieben und war am Schluß auch sehr neugierig, was mit ihr gemacht wird.

Die Belohnungsphase genoss Gypsy beim Kraulen an der Hand, am Grasen hatte sie kein weiteres Interesse, unsere Unterhaltung war wohl interessanter. Während ich mit der Besitzerin die weitere Vorgehensweise besprochen habe, bekam Gypsy dann auch ihre Streicheleinheiten.

Mit Gypsy wird sich eine deutlich andere Anforderung an die Arbeit ergeben als bei Toni. Zwar könnte Gypsy auch direkt gearbeitet werden, ich werde jedoch erst mal mit vertrauensfördernden Aspekten beginnen, damit die Stute (an der Hand und auch in der Herde) etwas mehr Selbstvertrauen gewinnt. Außerdem ist es ein Ziel, daß sie sich überall anfassen lässt und dann sehen wir weiter.

Das schönste war dann als während der abschließenden Besprechung, ein weiteres Pferd (das jedoch vorher von seiner Besitzerin bereits gearbeitet worden war) die ganze Zeit, während Gypsy unf Toni bereits wieder auf der Koppel waren, am Zaun stand, die Nase darüber streckte und anscheinend wartete, wann er denn nun auch zu uns dürfte...